QUERPASS: Kultur- und Literaturgeschichte des Fußballs (Seoul, 21.-23.05.2002)

QUERPASS: Kultur- und Literaturgeschichte des Fußballs (Seoul, 21.-23.05.2002)

Organisatoren
Goethe-Institut Korea; DAAD-Lektorat Korea (Thomas Schwarz)
Ort
Seoul
Land
Korea, Rep. of
Vom - Bis
21.05.2002 - 23.05.2002
Url der Konferenzwebsite
Von
Markus Stauff; Ralf Adelmann

Anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft in Südkorea und Japan veranstaltete das Goethe-Institut in Seoul unter Leitung von Uwe Schmelter in Zusammenarbeit mit dem DAAD, vertreten durch das Lektorat an der Keimyung-Universität (Thomas Schwarz), kurz vor Beginn der Spiele eine interdisziplinäre Konferenz zum gesellschaftlichen und kulturellen Stellenwert des Sports. Wissenschaftler (und tatsächlich blieb dieses Thema einmal mehr in männlicher Hand) aus Südkorea, Japan, Dänemark und Deutschland diskutierten drei Tage lang über Geschichte der Sportart, ihre nationalen und kulturellen Differenzierungen, ihre ästhetischen und politischen Potenziale. Im folgenden werden einige Beiträge vorgestellt, die einen sozialhistorischen Schwerpunkt hatten.

In einem Einführungsvortrag stellte Gunter Gebauer (FU Berlin) die Frage nach "Nationaler Repräsentation durch Fußballspielen". In einer Analogie zum Theater betonte Gebauer die dramaturgischen und aufführungsartigen Aspekte des Fußballs, die allerdings (im Unterschied zum Theater) in die Alltäglichkeit eingehen und somit eine erweiterte Performativität erstellen. Die Gruppenbildungsprozesse und die Kraftfelder in der Auseinandersetzung zweier Mannschaften sind für die Zuschauer visuell mit zu vollziehen und tragen deshalb zu einer vorsymbolischen Gemeinschaftsbildung bei; das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft wird darin, so Gebauers These, sinnlich fassbar. Eine Identifikation der Zuschauer mit dem Fußball basiert dabei vor allem auf einer sozialen Motorik, auf differenzierten Stilen und Schulen von Körperbewegungen. Was häufig als wesenhafte kulturelle Differenz aufgefasst wird (der Kampfgeist der Deutschen, die Technik der Franzosen etc.) kann dabei auf nationale Institutionen und Ausbildungsprogramme zurück geführt werden; dennoch glaubt Gebauer, dass bestimmte Körperschemata vom Platz auf die Zuschauer "überspringen".

Dies kann nun zum Ausgangspunkt sowohl nationalistischer Codierungen als auch (häufig in Verbindung damit) exemplarischer Männerrollen werden. Eine symbolische nationale Relevanz erhält der Fußball aber erst, wenn er schichtenübergreifend praktiziert und darüber hinaus von den Eliten anerkannt wird. In der BRD war dies erst in den 70er Jahren der Fall. Und schon wenig später - in den 90er Jahren - ist diese nationale Relevanz nur noch in einer weitgehend nostalgischen Haltung zu finden; die Spieler selbst - so Gebauers Fazit - leben keine exemplarischen Heldenrollen mehr, sondern verkörpern Figuren eines (ökonomisch motivierten) Designs. In der anschließenden Diskussion wurde vor allem eine stärkere Differenzierung zwischen Vereinsfußball und nationalem Fußball eingefordert; auch wurde auf die flexible und relationale Semantik von nationalen Zuschreibungen hingewiesen.

Der folgende Vortrag hatte eine sehr viel konkretere politische Fragestellung: "Spielt der Fußball eine Rolle in der koreanischen Wiedervereinigungspolitik?" war das Thema von Koo-Chul Jung (Universität Cheju-do). Er verdeutlichte die strikte Trennung der nord- und südkoreanischen Gesellschaften, die nahezu keinen wechselseitigen Austausch haben. Auch der Versuch einer gemeinsamen Organisation der Weltmeisterschaft (bzw. die Veranstaltung von zwei Spielen in Nordkorea) ist gescheitert. Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, dass vor allem auf der Ebene von Jugendmannschaften ein gelegentlicher Austausch stattfindet und bei einem Turnier in Portugal sogar eine gemeinsame Mannschaft antrat. Jung plädiert dafür, derartige Projekte zu intensivieren, weil damit zumindest auf symbolischer Ebene die Zusammengehörigkeit in Erinnerung gehalten werden könne.

Eine stärker historische Perspektive vertrat Tokuro Yamamoto (Kokushikan-Universität Tokyo), der mit "Kemari" ein altes japanisches Fußballspiel vorstellte, bei dem auf einem Feld eine Gruppe von Spielern einen Ball durch Schüsse in der Luft halten muss; jeder Spieler darf den Ball höchstens dreimal schießen bevor ein anderer Spieler ihn übernehmen muss; erschwert wird das Spiel durch Bäume, die am Rande des Feldes stehen. Schon Ende des 13. Jahrhunderts findet sich eine schriftliche Anleitung zu dem Spiel, die verdeutlicht, dass es in erster Linie um die Verfeinerung von Körpertechniken und einen ästhetisch ausgefeilten Umgang mit dem Ball geht. In der Diskussion des Vortrags zeigten sich unterschiedliche Auffassungen davon, ob Kemari sinnvoll in einen historischen Bezug zum heutigen Fußball gebracht werden kann.

Den kulturellen Stellenwert des Fußballs in Japan entschlüsselte Mario Kumekawa (Sophia-Universität Tokyo) anhand von Sportcomics und Starfiguren. Eindrucksvoll konnte er dabei zeigen, dass - im Unterschied zur deutschen Situation - der japanische Fußball ein Spiel der Außenseiter und der Subkulturen ist. Während in den Comics Baseball letztlich als gesellschaftliche Integration fungiert, bleibt Fußball - die Figur des "Captain Tsubasa" ist hier exemplarisch - ein Spiel am Rand der Gesellschaft. Auch die Stars der "Nationalsportarten" Baseball, Sumo u.a. verkörpern mit ihren Lebensgeschichten häufig eine japanische Identität - gerade weil sie zum Teil aus anderen Ländern kamen und sich in die japanische Gesellschaft integrierten. Demgegenüber stehen die Fußballidole - derzeit vor allem Nakata - für einen Individualismus und eine Offenheit jenseits der japanischen Geschichte.

Warum nicht nur die Wissenschaft vom Sport/Fußball, sondern auch der Sport/Fußball selbst eine Männerkultur ist, erläuterte Hans Bonde (Universität Kopenhagen) in seinem Vortrag über "Fußball, Männlichkeit und die dänische Nation". Hierbei verfolgte er einen anthropologischen Ansatz zur Erläuterung insbesondere der dänischen Entwicklung des Sports Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Unter Anwendung der theoretischen Prämissen von Victor Turner, der eine Unterscheidung von Übergangsriten in so genannten ‚primitiven' und ‚modernen' Gesellschaften mit den Begriffen liminal bzw. liminoid vornimmt, sieht Bonde in den 1920er und 30er Jahren eine neue Entwicklung. Um 1900 war Sport noch kein Übergangsritus, doch in den darauf folgenden Jahren entsteht eine symbolische Beziehung zwischen Sport und den konstitutiven Elementen von modernen Gesellschaften. Sport bietet dabei die Möglichkeit der Selbstinitiierung und Selbstmaskulinisierung in unserer Gesellschaftsordnung. Heute konstatiert Bonde ein kongruentes Verhältnis einer verlängerten Adoleszenz und der Huldigung der Jugendlichkeit mit dem Durchdringen sportlicher Ideale nicht nur für die Übergangszeit zur Männlichkeit, sondern weit darüber hinaus. In der anschließenden Diskussion wurde die Gefahr des Ahistorismus anthropologischer Modelle und der kulturelle Zusammenhang von modernen Gesellschaften und Sport thematisiert.

Die Fußballberichterstattung spielt nach Rolf Parr (Universität Dortmund) bei der Reproduktion diskursiver Formationen und dabei insbesondere von Nationalstereotypen eine besondere Rolle: "Der mit dem Ball tanzt, der mit dem Bein holzt, der mit sich selbst spielt. Nationalstereotype in der Fußballberichterstattung" lautete denn auch der vielsagende Titel. Aus einer Auswertung der Medienberichterstattung der letzten Monate ergeben sich einige Hauptlinien im System der Nationalstereotypen (aus europäisch-deutscher Sicht). Die Brasilianer werden z.B. als ‚Ballzauberer', die ‚mit dem Ball Samba tanzen' den deutschen Kickern gegenübergestellt, die als ‚Fußballarbeiter mit Kampfgeist' und ‚Rumpelfüßler' durch die Medien etikettiert werden. Gleichzeitig breitet sich unter den Bedingen der Globalisierung (siehe Vereinsfußball) eine Irritation im seit dem 19.Jahrhundert stabilen System der Nationalstereotypen aus. In der Berichterstattung vereinigen Argentinier plötzlich klassischen südamerikanischen ‚Spielwitz' und deutsche ‚Tugenden'. Überhaupt konnte Parr zeigen, dass die Stereotypen flexibel sind und weniger bestimmte Eigenschaften als generell die Möglichkeit eindeutiger Differenzierungen festschreiben. Sie schaffen somit die Möglichkeit inder Fußballberichterstattung ›uns Deutsche‹ zu identifizieren, ohne eine genaue Festlegung dessen vorzunehmen, was ›Deutsch‹ ist.

In weiteren Beiträgen wurden ergänzend hierzu medien- und und literaturwissenschaftliche Perspektiven auf den Fußball vorgestellt.


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Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
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